Ophthalmologische Genetik

Genetik ist der Zweig der Biologie, der die Vererbung erforscht, d.h. die Übertragung spezifischer Eigenschaften von einer Generation zur nächsten.

Die ophthalmologische Genetik befasst sich vor allem mit der genetischen Grundlage bestimmter Augenkrankheiten, wie der Kurzsichtigkeit, dem Keratokonus, einigen Netzhauterkrankungen und dem Glaukom. Ihr Ziel ist es, sowohl die Erscheinungswahrscheinlichkeit und Erheblichkeit dieser Erkrankungen, als auch ihren Reaktionsgrad gegenüber verschiedenen Behandlungsoptionen zu prognostizieren, um letztendlich eine optimale und individuelle Therapie zu erzielen.

Chromosome und Gene

Jede Zelle unseres Körpers enthält den gesamten genetischen Kode, der für unsere Charakteristika verantwortlich ist. Chromosome sind im wesentlichen die "Bücher", die diesen Kode beinhalten; beim Menschen gibt es 46 Chromosome. Jeder Abschnitt dieser Bücher (der ein bestimmtes Protein in unserem Körper kodiert) heißt Gen.

Ein Gen kann ein bestimmtes Merkmal bestimmen, oft können aber auch mehrere Gene für unsere Merkmale mit verantwortlich sein, wie z.B. für die Körpergröße.

Die "Sprache" des genetischen Kodes ergibt sich aus den Kombinationen von 4 chemischen Verbindungen (Basen), die anderen Verbindungen anhängen, um ein Makromolekül zu bilden, welches DNA genannt wird.

Vor kurzer Zeit wurde die Kartierung des kompletten menschlichen Genoms abgeschlossen (Human Genome Project), das etwa 30.000 Gene zu enthalten scheint. Dank dieser Anstrengungen wurde der Grundstein gelegt, um bestimmte Krankheiten bestimmten Genen zuzuordnen, deren Auftreten zu prognostizieren und, durch eine direkte Intervention bei den Chromosomen, genetische Therapien zu entwickeln.

Genetische Tests

Es ist offensichtlich, da von Vererbung die Rede ist, dass die ophthalmologische Genetik sich nicht nur mit dem Patienten befasst, sondern auch mit seiner Familie. Tatsache ist, dass es sich um ein komplexes Thema mit wirtschaftlichen, sozialen und sogar moralischen Implikationen handelt.

Genetische Tests beginnen mit der Entnahme genetischen Materials für spezielle Labortests und werden mit der Erstellung des Stammbaums des Patienten fortgeführt. Dies ist ein sehr wichtiger Schritt der Gentests, weil er dazu beiträgt, andere Familienmitglieder zu identifizieren, die unter der gleichen Erkrankung leiden (eventuell sogar unbewusst), und die Erscheinungswahrscheinlichkeit der Erkrankung bei noch ungeborenen Nachkommen abzuwägen.

Äußerst wichtig ist dabei die richtige und wesentliche Aufklärung der Patienten und ihrer Angehörigen, die immer individuell und vertraulich erfolgen muss.

Endziel der Gentests ist es, einen effektiven individuellen Plan zum Monitoring und zur Behandlung für den Patienten zu gestalten.

Mutationen und Augenerkrankungen

Die verschiedenen Varianten eines Gens werden als Genmutationen bezeichnet. Einige dieser Mutationen (oft in Kombination mit Umweltfaktoren) scheinen das Risiko einer Erkrankung zu erhöhen, während andere es reduzieren.

Zum Beispiel scheinen die Mutationen CFH und LOC die Erscheinungswahrscheinlichkeit altersbedingter Makuladegenerationen deutlich zu erhöhen, während C2 und BF davon zu schützen scheinen.

Die Gene CYP1B1, MYOC, OPTN und WDR36 scheinen - allein oder in Kombination - für den Auftritt von Glaukomen verantwortlich zu sein, während die Mutationen des Gens LOXL1 mit dem Pseudoexfoliationsglaukom direkt verbunden werden, bei dem pathologisches Material die Entwässerung des Auges verhindert und zur Erhöhung des Drucks führt.

Die erblichen Augenerkrankungen können vereinzelt oder als Bestandteil von Syndromen mit Befunden aus anderen Systemen auftreten, wie z. B. das Herz-Kreislauf-, das Harn- oder das Zentralnervensystem.

Bisher sind mindestens 500 Gene identifiziert worden, welche mit dem Auftreten von erblichen Augenerkrankungen verbunden werden. Bestimmte Mutationen scheinen sich direkt auf das Auftreten von Katarakt, Glaukom, Retinitis pigmentosa, Augentumoren, sowie von Hornhaut- und Netzhautdystrophien auszuwirken.

Gentherapie

Mutationen in einem bestimmten Gen können dazu führen, dass das davon kodierte Protein unzureichend, defekt oder sogar schädlich für die Gesundheit der Zelle ist.

Das Ziel der Gentherapie ist der Ersatz des defekten Gens durch ein gesundes in den Zellen der infizierten Gewebe. Die angewendete Methode nutzt genetisch modifizierte, nicht-pathogene Viren, welche das normale Gen enthalten und zum DNA der infizierten Zellen transportieren.

Obwohl es theoretisch durchaus möglich erscheint, ist es in der Praxis nur schwer umsetzbar. Dieser Ansatz wurde vor kurzer Zeit erfolgreich angewandt und erzielte eine deutliche Verbesserung des Sehvermögens junger Patienten mit kongenitaler Leber Amaurose, einer Krankheit, die zum fortschreitenden Verlust des Sehvermögens in den ersten Lebensjahren führt.

Die fortwährend ansteigende Anzahl von Augenerkrankungen, mit offensichtlich genetischer Grundlage, sowie die zunehmend ermutigenden Ergebnisse der Gentherapie, sorgen für die Gewissheit, dass die ophthalmologische Genetik in naher Zukunft eins der wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Instrumente der Augenheilkunde darstellen und sogar kurative Therapien für bisher unheilbare Krankheiten anbieten wird.